Bewunderung, beruflicher Erfolg, Stolz – wer sich anstrengt und keine Fehler macht, wird reich belohnt. Oder? Zumindest lauten so die Versprechungen der eigenen hohen Selbstansprüche. Perfektionismus kann aber mit hohen Kosten für die eigene Gesundheit einhergehen, wie beispielsweise Ängsten, Erschöpfung, Burnout.
Hinter Perfektionismus verbirgt sich oft mehr als der Wunsch, perfekt zu sein und Fehler zu vermeiden.
Ein Blick hinter die perfekte Kulisse
Beim Perfektionismus handelt es sich gewissermassen um eine «moderne Tugend», deshalb sprechen viele Menschen auch gerne darüber. Viel lieber als beispielsweise über ihre pessimistische Einstellung oder ihren Hang zum Grübeln.
Doch diese positiv konnotierte Tugend ist oftmals mit hohen gesundheitlichen Folgen verbunden. Die Betroffenen sind sich dessen nicht immer bewusst. Sie realisieren als Erstes die gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie z.B. Angst, Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen, Zwänge, Aufschieberitis (Prokrastination), Burnout.
Perfektionistisches Tun bedeutet für viele Menschen eine Art von Sicherheitsstrategie. Wenn ich perfekt bin, lindert dies die Angst bei schlechter Leistung kritisiert, von anderen verlassen, abgewertet oder bestraft zu werden.
Ein Streben nach Vollkommenheit kann vor quälenden Gefühlen der eigenen Minderwertigkeit schützen. Sich keine Fehler zu erlauben, kann ein Gefühl von Kontrolle geben.
Gesunder Perfektionismus
Ein Wiederspruch? Gibt es ihn überhaupt?
Zunächst einmal müssen hohe Massstäbe und Ehrgeiz nichts Schlechtes sein. Ein Streben nach Vollkommenheit kann anspornen, motivieren und grossartige Leistungen hervorbringen. Aussergewöhnliche Resultate in Wissenschaft und Kunst wurden oft von ehrgeizigen Menschen erzielt, die sozusagen nach den Sternen griffen.
Schädlicher Perfektionismus
Zum Problem wir Perfektionismus dann, wenn wir uns extrem hohe Massstäbe setzen und an diesen stur und starr festhalten. Selbst dann noch, wenn die Nachteile schon längst einen möglichen Nutzen übersteigen.
Kritisch wird es zudem, wenn wir unseren gesamten Wert davon abhängig machen, ob wir ein extrem hohes Ideal erfüllen können. Eine mögliche Richtschnur kann die Antwort auf die Frage geben: Worum geht es mir bei meinen Bestrebungen? Um die Sache selbst (brenne ich dafür?) oder um die Anerkennung anderer? Am Beispiel eines Komponisten könnte man sagen, geht es ihm um die Freude am möglichst harmonischen Klang seiner Komposition oder doch eher um das Streben nach tosendem Applaus und die Angst vor möglicher Kritik?
Perfektionismus kann sich grundsätzlich in all unserem menschlichen Tun und Sein zeigen: Berufliche Leistungen, eigenes Aussehen, Haushalt, Sport, Hobbies usw.
Die Kunst, nicht ganz perfekt zu sein
Zuerst einmal gilt es, sich selbst bewusst zu werden, dass eine Veränderung notwendig ist. Wenn wir zu uns selbst sagen: So kann es nicht mehr weitergehen… Diese Aussage ist ein wichtiges Zeichen und wird meist aufgrund körperlicher Symptome ausgelöst.
Neben Erschöpfung, diversen psychosomatischen Beschwerden oder massivem aufschiebendem Verhalten zeigen sich auch häufig(er) Beziehungskonflikte.
An diesem Punkt ist es hilfreich, Kosten und Nutzen des eigenen Perfektionismus gegeneinander abzuwägen. Gleichzeitig muss man sich auch den Ängsten stellen, die mit einer Veränderung einhergehen.
Loslassen macht Angst
Veränderungen machen uns Menschen Angst. Der Umgang mit Unsicherheit bereitet uns Mühe. Wir zimmern uns ein Bild der Zukunft und glauben zu wissen, wie es ist. Aber eben, wir wissen es (noch) nicht!
In meinem Coachings äussern Coachees ihre Befürchtung als «faul und phlegmatisch» auf dem Sofa zu enden, wenn sie ihre hohen Ansprüche lockern. Damit verdeutlichen sie das typische Schwarz-Weiss-Denken, welches bei Perfektionisten vorherrscht.
Neben der Arbeit an einer möglichen Reduktion der extrem hohen Anstrengungen geht es für mich als Coach auch darum, gemeinsam mit dem Coachee ein Gefühl für die ganze Farbpalette im eigenen Denken zu entwickeln. Die Welt ist bunter, als man denkt.
Wie ich meinen Coaching-Kunden zur Kunst «nicht-ganz-perfekt-zu-sein» verhelfe:
- Glaubenssätze herausarbeiten: Welche ungünstigen Glaubenssätze steuern meine Gedanken und mein Verhalten? Ist eine Umformulierung sinnvoll?
- Vorbilder mit ausgewogenen Leistungsansprüchen suchen – im nahen und weiteren Umfeld
- Massstäbe, die ich mir selbst und anderen setze vergleichen
- Ansprüche an die verschiedenen Lebensbereiche flexibler gestalten
- Selbstwert aufbauen – losgelöst von Leistungserbringung!
Es lohnt sich für die meisten von uns, die Kunst „nicht-ganz-perfekt-zu-sein“ zu trainieren. Wir entlasten uns dadurch und gönnen uns etwas mehr Leichtigkeit in unserem Dasein und Handeln. Unsere Zufriedenheit und Gelassenheit wird zunehmen und wir werden automatisch zu besseren Freunden, Führungspersonen, Mitarbeitenden, Nachbarn, Eltern etc… Denn:
«Du inspirierst andere nicht durch deine Perfektion.
Du inspirierst sie dadurch, wie du mit deinem „Nicht-perfekt-sein“ umgehst.»
Sue Fitzmaurice
Herzlich,
Ihre
Gabriela Heller