Als Führungsperson kennen Sie dies wahrscheinlich: Sie stehen vor schwierigen Entscheidungssituationen oder Dilemmata und nehmen unterschiedlichste Gedanken, Meinungen und Gefühle dazu in sich wahr. Es herrscht sozusagen ein innerer Konflikt, i.S.v. Wer bin ich und wenn ja, wie viele…?
So erging es mir, als ich vor einer wichtigen beruflichen Entscheidung stand und mein Team ganz unterschiedliche Ansichten und Ermutigungen dazu hatte:
- Folge deiner Berufung, sagte die Visionärin.
- Hast du die Verdienstmöglichkeiten geprüft? liess die Realistin verlauten.
- Du bist zu alt für Experimente, mahnte die Sicherheitsbeauftragte.
- Das ist alles sehr unsicher, nörgelte die Perfektionistin.
- Was werden wohl die anderen davon halten? gab die Angepasste zu bedenken.
- Nun grüble nicht länger, entscheide dich endlich! drängte die Ungeduldige.
Dieses Meeting fand tatsächlich statt – jedoch nur in meinem Kopf – als mir die Position meiner entlassenen Chefin angeboten wurde, obwohl ich als Letzte zu diesem Team gestossen bin.
In solchen Situationen herrscht Chaos in uns drin und wir wissen nicht, welches der richtige Weg ist. Wir sind unsicher, unentschlossen und unzufrieden. Äusserst unangenehm, aber kein Grund zur Sorge – dies hat nichts mit einer psychischen Störung zu tun!
Schon Goethes Faust stöhnte: «Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust!»
Tja, wenn es doch nur zwei wären…
Auch folgende Beispiele können ein solch chaotisches Selbstgespräch in einem hervorrufen (vgl. Friedemann Schulz von Thun):
- Eine fleissige Studentin wird von einem Mitstudenten gefragt, ob er ihre Notizen für sich kopieren dürfe. Grundsätzlich ist sie hilfsbereit und solidarisch, doch will sie die Früchte ihrer Arbeit einfach so mit jemandem teilen?
- Wie soll eine Verkaufstrainerin reagieren, wenn die (männlichen) Teilnehmer sie am Trainingstag mit abschätzigen Bemerkungen wie Kennen wir doch alles schon! oder Wir sind nur hier, weil wir müssen… konfrontieren?
- Wie soll der wütende Chef mit seinem hochempfindlichen Mitarbeiter sprechen, der sich wieder einmal nicht an bestimmte Terminvorgaben gehalten hat, aber aufgrund seiner Kreativität sehr wichtig für das Unternehmen ist?
Vielleicht kommen Ihnen eigene Beispiele in den Sinn?
Im Folgenden stelle ich Ihnen eine Methode vor, die ich häufig in meinen Coachings verwende, die sich aber auch prima zur Selbstreflexion eignet: Das innere Team, entwickelt von Friedemann Schulz von Thun. Detaillierte Ausführungen können in seinem Buch Miteinander Reden (Band 3) nachgelesen werden.
Zusammenarbeit mit dem inneren Team
Unsere Persönlichkeit ist kein festes «Etwas» oder «Ding». Sie kann als eine Sammlung von inneren Anteilen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Motiven und Ansichten bezeichnet werden.
Jeder Anteil verfolgt mit seinem Tun grundsätzlich eine gute Absicht – jedoch aus einer anderen (beschränkten) Perspektive. Zudem hat jeder Anteil sein eigenes Denksystem, seine spezifischen Emotionen und seine persönliche Art, sich auszudrücken. Diese Anteile leben mehr oder weniger harmonisch in uns.
Am deutlichsten werden Sie sie in Situationen wahrnehmen, in denen Sie zweifeln, zögern, entscheidungsunfähig sind oder erst lange nachspüren müssen. Dann kann folgendes Vorgehen in 3 Schritten unterstützend wirken:
1. Mitglieder des inneren Teams identifizieren
Es lohnt sich, zuerst einmal sein «inneres Team» genauer zu betrachten.
Einzelne Teammitglieder sind sofort zu erkennen: Sie artikulieren unmissverständlich und stehen im Vordergrund. Andere sind eher zurückhaltend, kaum zu hören und sind im Hintergrund.
Für die Klärung einer Situation ist es hilfreich, die verschiedenen Stimmen zu personifizieren und wie Mitglieder eines realen Teams zu behandeln.
Mittels einer Zeichnung (siehe oben) können Sie sich einen guten Überblick verschaffen:
- Wer taucht auf? Innere Teammitglieder können Gedanken, Gefühle, Worte, Rollen oder Haltungen sein.
- Jedem Teammitglied einen Namen geben. Beispiele: Die Hilfsbereite; Die Planerin; Die Gekränkte; Die Selbstbewusste; Die Kritische etc.
- Für jedes Teammitglied eine typische Aussage wählen wie z.B. Ich helfe gerne; Ich will mich in Ruhe vorbereiten; Ich fühle mich verletzt
- In sich hineinhören: Welche Teammitglieder sind dominant? Welche leise und zurückhaltend?
- Könnte es noch weitere Teammitglieder geben, die ich noch nicht entdeckt habe?
Im erwähnten Beispiel der Studentin könnte folgender Überblick entstehen:
Hilfsbereite: Klar! Schön, wenn ich jemandem helfen kann.
Egoistische: Meins! Der soll selbst mal was tun.
Intimitätsschützerin: Meine Notizen enthalten persönliche Gedanken und meine Schrift ist nicht gut lesbar…
Solidarische: Wir Studenten müssen einander doch helfen.
2. Wer leitet das innere Team?
Stellen Sie sich Schauspieler auf einer Bühne vor, die ein neues Stück proben. Die meisten haben Vorschläge, wie eine bestimmte Szene darzustellen ist. Alle sprechen durcheinander und unterbrechen sich laufend. Die Positionen polarisieren sich.
Wünschenswert ist nun die Rolle des Regisseurs, der für Ruhe und Ordnung sorgt: Vielen Dank meine Damen und Herren für Ihre Beiträge… wir spielen die Szene folgendermassen…
Diese Aufgabe ist vergleichbar mit dem «Oberhaupt» des inneren Teams. Es ist den anderen Teilen übergeordnet und verfügt über wichtige Führungsqualitäten wie Vertrauen, Mitgefühl, Akzeptanz und Perspektive geben. Es kann die Beiträge der Persönlichkeitsanteile ruhig anhören, anerkennen und danach mit seiner eigenen Erfahrung den richtigen Weg weisen.
Übrigens, wir erleben diese Qualitäten in Momenten, in denen wir im Flow sind: Wir fühlen uns präsent, authentisch und handeln angemessen.
Herausfordernd wird es immer dann, wenn auf unserem Regiestuhl eine Teilpersönlichkeit Platz genommen hat. Dann werden wir plötzlich ungeduldig, trotz genügend Zeit oder lesen akribisch einen Text zum x-ten Mal (dann sitzt der Perfektionist auf dem Stuhl).
3. Gemeinsam mit dem inneren Team einen Kompromiss finden
Nun geht es darum, im Rahmen einer Diskussion die unterschiedlichen Positionen, Sichtweisen und Möglichkeiten aufzunehmen. Als „Oberhaupt“ kann man nun die Diskussion moderieren, indem man bei allen Teammitgliedern nachfragt: Wie siehst du das? Wie geht es dir damit?
Nach einer solchen Teamdiskussion – die nichts anderes ist als Selbstklärung – zeichnet sich vielleicht bereits ein Kompromiss ab, bei dem niemand zu kurz kommt und an dem sich alle beteiligen können. Ansonsten gilt im Gespräch zu bleiben, bis Klarheit entsteht.
Schauen wir uns nochmals das Beispiel der Studentin an. Ein Kompromiss könnte evtl. so lauten:
Ich gebe dir meine Notizen gerne, aber ich möchte vorher noch Teile herausnehmen, die mehr persönliche Notizen enthalten. Und ich hätte eine Bitte: Dass im nächsten Seminar du für die Mitschriften zuständig bist und ich sie mir kopieren kann – damit es nicht so einseitig wird zwischen uns, einverstanden?
Fazit
Die Dynamik des inneren Teams einer Führungsperson lässt sich mit der Dynamik eines zu führenden Teams im Arbeitsalltag vergleichen. Das Geheimnis für ein produktives Arbeits- und Seelenleben liegt im gelingenden Zusammenspiel kooperativer Führung und in der Teamarbeit.
Diese Methode braucht Zeit. Sie eignet sich insbesondere für wichtige Entscheidungen oder Dilemmata – natürlich nicht bei der täglichen Menu-Auswahl im Restaurant…
Stehen Sie gerade vor einer wichtigen Entscheidung, möchten aber diesen Findungs-Prozess nicht für sich im stillen Kämmerlein durchführen? Dann nehme ich mir als neutrale Prozessbegleiterin gerne Zeit für Sie.
Herzlich,
Ihre
Gabriela Heller