Plötzlich ist alles anders. Die Coronapandemie hat viele unserer Lebensbereiche erfasst und wirbelt vieles durcheinander. Selbstverständlichkeiten werden in Frage gestellt, vertraute Gewohnheiten ändern sich von einem Tag auf den anderen, auf vieles gilt es zu verzichten und loszulassen.
Loslassen ist alles andere als einfach. Gerade in einer von Optimierung und insbesondere Selbstoptimierung geprägten Gesellschaft sollen Dinge genau so laufen, wie wir sie gerne hätten. Und dies möglichst umgehend und effizient. Ganz im Sinne von schneller, höher, weiter…
Das Thema Loslassen wird uns in den kommenden Wochen und Monaten noch weiter begleiten und einiges an Geduld und Durchhaltewillen abverlangen. Pläne loslassen, Einschränkungen akzeptieren, Verluste annehmen – Tatsache ist: Wir sind psychisch stark gefordert.
Belastende Gefühle in der Krise
Sorgen um die eigene Gesundheit oder um die Gesundheit unserer Familie und Freunde, Ungewissheit, wie es beruflich weitergeht usw. können Ängste auslösen. Diese Gefühlslage ist naheliegend.
Vielleicht fühlen wir uns aber auch ohnmächtig, da (zu) vieles unklar ist. Wir wissen nicht, wie sich die Lage verändern und wann sie sich entspannen wird. Ohnmacht ist ein Gefühl, welches weniger offensichtlich wahrgenommen wird. Fest steht jedoch, dass Ohnmacht für alle Lebewesen mit existenzieller Bedrohung verbunden ist und unser inneres Alarmprogramm aktiviert.
Kommen auch noch Trauer oder Ärger hinzu, entsteht ein schädigender Gefühls-Cocktail.
Gefühle und Körperreaktionen gelten als eng verknüpft.
Finnische Forscher zeigten mittels einer Studie auf, wie universell wir unsere Emotionen verorten und wie sie sich im Körper abbilden. Folgende Grafik veranschaulicht dies eindrücklich.
Wenn wir gegen diese unangenehmen Gefühle ankämpfen, wird alles nur noch schlimmer: Widerstand verstärkt belastende Gefühle.
Doch wie kann uns der Umgang mit diesen belastenden Gefühlen gelingen?
Einige Ideen dazu:
1. Akzeptanz
Häufig wird Akzeptanz als ein Akt der Entscheidung verstanden. Im Sinne von «Du musst dies nun aber wirklich langsam annehmen und akzeptieren.» Doch so einfach ist es leider nicht. Wir können unsere Gefühle nicht willentlich steuern.
Vielmehr handelt es sich bei der Akzeptanz um einen innerlichen Verarbeitungsprozess, vergleichbar mit einem Trauerprozess. Wir wissen, im Umgang mit Trauer ist es wichtig, den aufkommenden Schmerz anzunehmen und ihm Raum zu geben. Dies geschieht in unterschiedlichen Zeitabständen und dauert entsprechend lange (daher der Begriff Trauerjahr). Doch nach und nach nimmt der Schmerz ab.
2. Geteiltes Leid ist halbes Leid
Kaum ein Ereignis betrifft die Menschheit so kollektiv wie eine Pandemie. Gleichzeitig entwickelt sich dadurch aber auch eine grosse Solidarität und Dankbarkeit. Wir alle sind mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert – diese Tatsache macht die Situation etwas erträglicher. Viel belastender ist es, als Individuum von grossem Leid betroffen zu sein.
3. Resilienz
Jede Krise birgt auch Chancen. Vielleicht konnten Sie feststellen, dass Sie in den vergangenen Monaten zu Verhaltensweisen fähig waren, zu denen Sie normalerweise keinen Zugang haben? Z.B. Dankbarkeit, Geduld, Mut, Zuversicht, Kreativität? Glückwunsch, denn dann durften Sie erfahren, wie resilient (psychisch widerstandsfähig) Sie sind!
Dies gelingt jedoch nicht allen Menschen. Es kann auch vorkommen, dass das psychische Leiden zu gross wird, sodass therapeutische Unterstützung notwendig und angebracht ist.
Mehr zum Thema Resilienz finden Sie in meinen beiden Beiträgen:
Lernfeld nutzen
Wir alle sind im Leben irgendwann mit dem Unausweichlichen konfrontiert: Krankheit, Alter, Gebrechen oder Tod sind Teil unserer menschlichen Existenz. Wenn wir es versäumen, die Akzeptanz und das Loslassen zu kultivieren, dann besteht die Gefahr, diesen Herausforderungen nicht gewachsen zu sein.
In unserem derzeitigen Alltag lässt sich nur noch wenig planen. Viele Situationen können entsprechend schmerzhaft und unangenehm sein. Wenn wir uns jedoch bewusstwerden, dass genau diese Situationen uns für die grossen Herausforderungen im Leben prägen, werden sie zum Lernfeld.
Nutzen wir also dieses Lernfeld und stellen uns unseren belastenden Gefühlen (= Gefühle wahrnehmen, sie zulassen und ihnen Raum und Zeit geben) immer im Wissen, dass wir dadurch unsere Fähigkeit zum Loslassen stärken können.
Tragen Sie Sorge zu sich!
Ihre
Gabriela Heller