Kürzlich während eines Retreats brachte einer der beiden Meditations-Lehrer mit der Aussage „Achtsames Formel 1-Fahren“ die gesamte Gruppe zum Lachen. Er wollte damit ausdrücken, wie stark der Begriff Achtsamkeit aktuell boomt.
Zu Beginn seiner Meditationslehrer-Zeit habe er sich zudem kaum über seine nebenberufliche Tätigkeit geäussert – zu oft wurde darüber gelächelt. Heute hingegen erachte er es als Türöffner, wenn er sich als Meditationslehrer „zu erkennen“ gibt…
Ein deutliches Zeichen dafür, dass die Achtsamkeitspraxis (Meditation ist ein wesentlicher Bestandteil davon) auch in den Management-Etagen an Bedeutung gewonnen hat. Eine aus meiner Sicht äusserst positive Entwicklung!
Seit meinem 8wöchigen MBSR-Kurs (Mindfulness-Based Stress Reduction) im letzten Jahr bin auch ich von diesem Konzept überzeugt und fasziniert.
Immer wieder erlebte ich Situationen, die ich im „Autopilot-Modus“ absolvierte (z.B. Autofahrt zur Arbeit) oder Momente, in denen ich mehrere Dinge gleichzeitig vollbrachte oder mein hyperaktives Kopf-Karussell einfach keine Ruhe gab… Folgende Fragen beschäftigten mich:
Wie gehe ich klug mit Stress um? Wie halte ich mich gesund? Wie werde ich gelassener und souveräner? Wie bewahre ich Ruhe in hektischen Situationen?
Tipps und Tricks zum Thema Stress gibt es ja unzählige. Soziale Medien und das Internet sind voll mit gut gemeinten Ratschlägen (Sie erinnern sich: Rat-Schläge sind Schläge…).
Gar nicht einfach, für sich persönlich den idealen stressreduzierenden Gesundheitsweg zu finden.
Grundsätzlich wissen wir: Es braucht eine Kombination aus genügend Bewegung, gesunder Ernährung sowie ausreichend Entspannung und Schlaf.
Stress ist allgegenwärtig. Für unsere Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Lebenszufriedenheit ist Stress ein ernst zu nehmendes Thema. Dies zeigt auch der Job Stress Index der Gesundheitsförderung Schweiz. Ein Viertel aller Erwerbstätigen fühlen sich am Arbeitsplatz gestresst und erschöpft. Die Tendenz ist steigend. Die Folgekosten für Unternehmen werden in der Schweiz auf 5,7 Mrd. CHF geschätzt.
Was genau verstehen wir eigentlich unter Stress?
In meinen Trainings nennen die Teilnehmenden häufig: Zeitnot, Leistungsdruck, Ärger, Hektik, Ängste, Perfektionismus und eine wachsende Pendenzenliste.
Stress findet nicht nur im Kopf statt – unser Körper ist massgeblich daran beteiligt. Verspannter Nacken, erhöhter Puls, schwitzige Hände, flaues Gefühl im Magen etc. Wir alle kennen diese Symptome.
Eine Stressreaktion versetzt unseren Körper in Alarmbereitschaft. Die Hormone Adrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet und sorgen dafür, dass wir kämpfen oder flüchten könnten.
Diese Reaktion ist kein simpler Automatismus oder Reflex, sondern eine hochentwickelte, intelligente Fähigkeit des Körpers, uns durch komplexe und potenziell lebensbedrohliche Situationen zu führen.
In unserem modernen Alltag ist ein Kampf mit einem Tiger zwar nicht mehr nötig, doch anstelle des Tigers sind negative Gedanken, unangenehme Emotionen, Anspannung, Leistungsdruck, Existenzangst uvm. getreten.
Denn noch immer sind wir darauf programmiert, in den Kampf-oder-Flucht-Modus zu wechseln, sobald wir uns irgendwie in unserer Sicherheit bedroht, von unserem Ziel abgebracht oder in unserem Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung beeinträchtigt fühlen.
In solchen Momenten werden schlagartig überlebensnotwendige Kräfte freigesetzt – und man handelt, ohne lange nachzudenken. Alles, was nicht unmittelbar benötigt wird, wird zurückgefahren. Beispielsweise die Verdauung und auch unser Denkhirn. Fatal, wenn wir in diesen Momenten überlegte Entscheidungen treffen, ein heikles Gespräch führen oder Ruhe bewahren sollten.
Guter Stress steckt voller Chancen
Stress ist nicht nur schlecht! Denn er
- hält wach, schärft die Sinne und die Konzentration
- aktiviert die Muskulatur
- erhöht die Reaktionsfähigkeit.
Auch Glücksgefühle können hervorgerufen werden. Denken Sie beispielsweise an Verliebtheit, Hochzeit, Geburt eines Kindes oder andere positiv erlebte Ereignisse.
Für professionelle Musiker und Sportler können Stress, Druck und Lampenfieber nützlich sein, um die eigene Leistungsfähigkeit zu steigern. Einige von uns suchen bewusst Stress: Achterbahnfahrt, Bungee-Jumping, Horrorfilme. Grund: Wenn die Spannung nachlässt, entsteht Wohlgefühl.
Negativer Stress birgt Risiken
Problematisch wird es, wenn nach akutem Stresserleben Entspannungsphasen ausbleiben. So kann chronischer Stress entstehen, da sich der Körper quasi permanent im Kampf-oder-Flucht-Modus befindet. Je nach individueller Konstitution können Burnout, Depression, Erschöpfung oder andere Krankheiten folgen.
Soweit muss es aber nicht kommen. Wir sind unserem Stress und unseren Ängsten nicht hilflos ausgeliefert, auch wenn es sich manchmal so anfühlt.
Achtsamkeit als Weg aus der Stressfalle
Denn genau hier kommt die Achtsamkeitspraxis ins Spiel. Also unsere durch regelmässiges Üben angeeignete Fähigkeit, im Alltag bewusster mit Stress umzugehen.
Drei wesentliche Hilfestellungen dazu sind:
- Konzentration und beobachten des Atems,
- eine differenzierte Körperwahrnehmung sowie
- eine innere Haltung der Achtsamkeit.
Bodyscan, Sitzmeditation, Gehmeditation, Yoga-Übungen – dies sind die formalen Elemente des MBSR-Kurses. Sie werden intensiv geübt und praktiziert.
Zusätzlich geht es auch um die nichtformale Meditationspraxis. Das Wesen der Achtsamkeit ist bewusstes, nicht wertendes Aufmerksam-Sein. So kann man im Alltag beim Gehen, Stehen, Zuhören, Reden, Essen und Arbeiten usw. auf Gedanken, Gefühle, Handlungsimpulse, Reaktionen und auch auf Empfindungen des Körpers achten.
Achtsam sein bedeutet, ganz im Augenblick des Geschehens sein. Wenn wir dies üben, können wir uns vom automatischen Funktionsmodus befreien. Wir leben bewusster und zentrierter.
Mit diesen Grundlagen gelingt es uns, im Alltag souveräner und gelassener mit Stress umzugehen. Dies wiederum verbessert die Lebensqualität und das Wohlbefinden. Und wer von uns möchte dies nicht.
Haben Sie Lust auf mehr?
Für Interessierte empfehle ich das Buch Gesund durch Meditation von Jon Kabat-Zinn – DAS Grundlagenwerk zur Meditationspraxis.
Achtsame Grüsse
Ihre
Gabriela Heller